Marcus Eichelmann, Tanzlehrer der Tanzschule Eichelmann
Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Tanzstunden in der Tanzschule Eichelmann. Der große Saal war voller Menschen, die sich zu Musik bewegt haben und Spaß hatten. Es wurde getanzt, gelacht, erzählt - eben gelebt. Inmitten der sich bewegenden Meute waren die stolzen Tanzlehrer, die mit Hingabe die Schrittfolgen vorgeführt haben. Und heute? Dieser große Raum. Leer. Bis auf Marcus, den Tanzlehrer. Und einen Jugendlichen, der mit einem Bambusstock als "Partner" die Schritte übt, denn ein echter Partner aus Fleisch und Blut wäre ja ein dritter Hausstand in dieser Konstellation. Verboten.
"Gefühlschaos! Es fühlt sich an wie die Enteignung der Berufung. Für Kunst und Kultur bedeutet der Lockdown, man muss das so drastisch sagen, den Untergang. Du stehst fast ganz allein in diesem riesigen Saal, mit nur einer weiteren Person. Das tut weh", erzählt mir Marcus während unseres Shootings. Er unterrichtet Tanz in vierter Generation in Halles renommierter Tanzschule, die seit 1932 das Kulturgut unserer Stadt bereichert.
"Jede Generation bei uns hatte ihre schlimme Zeit. Meine Großeltern den zweiten Weltkrieg, meine Eltern die Zeit nach der Wende, wir haben Corona. Und ich hoffe, wir überleben das."
Ein echtes Familienunternehmen mit Tradition. Das bedeutet aber auch, dass die Krise gleich mehrere Generationen betrifft. Da die Tanzschule keine finanzielle Unterstützung vom Staat erhält, müssen sie kreativ sein. Und das sind sie, seit Monaten, sieben Tage die Woche, bis zu 14 Stunden täglich.
"Klar, wir könnten uns aufregen. Doch das bringt nichts. Also versuchen wir, uns jeden Tag aufs Neue zu motivieren. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Doch wir tun das nicht nur für uns, sondern vor allem für unsere treue Tanzfamilie. Für viele sind unser Live-Stream am Wochenende sowie unsere Privatstunden das Highlight der Woche. Manche Seniorinnen erzählen mir, dass wir seit Monaten ihr einziger echter Kontakt "zur Außenwelt" sind. Diese permanente Isolation macht die Menschen depressiv und lethargisch. Sie bauen ab. Das habe ich in letzter Zeit sehr oft bei den Privatstunden wahrgenommen. Gebrochene Personen, die eigentlich ewige Optimisten waren. Es tut weh, das mitzuerleben."
Genau deshalb macht Familie Eichelmann weiter. Aus 20 Paaren - aus einem Hausstand, versteht sich - während einer Kurs-Stunde werden eben 20 Einzelstunden gemacht. Wirtschaftlich ist das nicht. Der Aufwand ist dafür riesig.
"Aber so haben die Leute in der schweren Zeit wenigstens etwas, um runterzukommen. Um ein bisschen Normalität zu genießen. Um ihr Recht auf Glück, Freiheit und Eigenständigkeit wahrnehmen zu können. Das ist Tanz. Das bedeutet Sport.
Wir sind relevant.
Was wir tun, ist von Bedeutung.
Wir sind Weltkulturerbe.
Wir stehen für Entertainment und Lebensgefühl.
Wir bieten sportliche Bewegung gepaart mit geistigem Anspruch.
Wir vermitteln Umgangsformen.
Wir bringen Menschen zusammen.
Wir bereiten den Boden für langjährige Beziehungen.
Wir sind gesellschaftliches Leben für Jedermann.
Wir sind relevant."