Sten Michelson, Mitglied im Vorstand der Halloren
Wer im schönen Halle an der Saale lebt, kennt die Unterteilung der städtischen Bevölkerung in Hallenser (in Halle geborene), Halloren (die Mitglieder der Brüderschaft der Salzwirker) und Halunken (die Zugezogenen). Als Hallenserin bin ich sehr stolz darauf, dass ich einen waschechten Halloren für mein Projekt gewinnen konnte.
Sten Michelson ist seit 34 Jahren in der Brüderschaft und gebürtiger Hallore. Sein erstes Festkleid erhielt er mit sieben Jahren. Mittlerweile trägt er Schwarz als Merkmal der Vorsteher. Sten ist damit Mitglied im Vorstand, dem höchsten Gremium der Halloren. Sein Brüderschaftsordner sei die Lernbibel für viele neue Mitglieder, erzählt er mir. Sein Lachen ist herzlich und guttural, das Gespräch mit ihm ist reich an Anekdoten und ich erfahre viel über die Geschichte meiner wundervollen Heimat. Hintergrundwissen über die Brüderschaft zu vermitteln, ist Sten eine absolute Herzensangelegenheit.
„Wir sind Halloren nicht nur des Festkleides wegen. Die Brüderschaft ist uns allen sehr, sehr wichtig. Auch wenn keiner von uns mehr direkt „im Salz“ arbeitet, tragen wir unsere Traditionen mit Stolz und Würde ehrenamtlich nach außen.“
Die Vermittlung geschichtlicher Hintergründe ist aufgrund des Lockdowns nur sehr eingeschränkt möglich. Viele Museen und ähnliche Einrichtungen blieben für den Publikumsverkehr geschlossen, so auch das Saline-Museum, welches in diesem Jahr 300jähriges Bestehen feiert. Ein Veranstaltungsjahr für die Brüderschaft der Halloren also. Eigentlich.
„Die letzten Monate waren für uns sehr schwer. Der Austausch und das Miteinander fehlen sehr. Als Brüderschaft geht es uns nicht gut. Die Halloren sind sehr stolz darauf, anerkanntes immaterielles Kulturerbe zu sein. Dazu zählt aber auch, die Traditionen und das Brauchtum der Brüderschaft aktiv und mit Herzblut ausleben zu dürfen. Präsenzveranstaltungen sind für uns daher enorm wichtig. Doch wie soll das möglich sein, wenn wir uns nicht versammeln und treffen dürfen?“
In diesem Jahr hätten beispielweise die Vorstandswahlen und das sogenannte „Pfingstbier“ stattfinden sollen. Festivitäten, die als richtige Spektakel mit Zappeltanz, dem Aufzug der Brüderschaft sowie Fahnenschwenken verbunden sind.
„So etwas lässt sich nicht digital veranstalten, das ist klar. Generell lassen sich Traditionen und Brauchtum online ganz schlecht weitergeben. Wir haben es mit dem Schausieden versucht, das Ganze aufgenommen und als Video im Internet zugänglich gemacht. Doch das ist nicht, was man sich vorstellt. Es sagt zu wenig über diese Tradition aus. Normalerweise bekommen wir vor Ort viele spezifische Fragen gestellt, auf die wir gleich eingehen können. Außerdem lässt sich das besondere Gefühl dieser Tradition nicht medial einfangen, man muss es miterleben. Normalerweise müssten wir nun auch die Boote für das Fischerstechen zum Laternenfest vorbereiten. Bestimmte Festivitäten benötigen einfach einen größeren Vorlauf. Doch es ist leider alles so ungewiss.“
Nicht nur um das Brauchtum macht Sten sich Gedanken.
„Wir haben sehr viele ältere Mitglieder, die meisten kennen mich noch als kleinen Stift. Ihnen fehlt der Kontakt zu anderen Menschen im Besonderen. Es ist so traurig, so viele nicht sehen zu können. Doch wir helfen uns untereinander, so gut es geht, fahren beispielsweise für einige ältere Mitglieder einkaufen. Die Kommunikation untereinander erfolgt derzeit hauptsächlich über Brief oder bei einigen per E-Mail. Doch das ist natürlich nicht das Wahre. Normalerweise finden über das Jahr verteilt vier große Versammlungen der gesamten Brüderschaft statt und jeden Mittwoch gibt es in der Saline einen Halloren-Stammtisch für die Mitglieder. Vieles wird gemeinsam besprochen und ausdiskutiert, neue Mitglieder bekommen Paten an die Seite gestellt, von denen sie lernen können. Auch das ist derzeit nicht möglich und sehr schade für unsere Neu-Mitglieder, da ihnen viele Hintergründe unserer stolzen Brüderschaft nicht angemessen vermittelt werden können.“
Hintergründe und Traditionen, die hoffentlich bald wieder nicht nur den Neu-Mitgliedern, sondern auch allen anderen interessierten Hallensern, Halunken und Touristen zugänglich gemacht werden dürfen.
„Wir als Halloren sind das Salz in der Suppe von Halle. Wir hatten unsere Domizile immer an der Saale. Der Hauptstrom der Saale wurde von vielen Schiffen genutzt, die Salz gekauft haben. So kamen immer mehr Menschen nach Halle. Durch das Salz ist Halle schnell gewachsen und hat sich von dem ursprünglich kleinen Dorf zu einer Großstadt entwickeln können. Industrie konnte sich ansiedeln, anfangs alles in der Nähe der Saline. 1834 wurde die erste Dampfmaschine in der Saline in Betrieb genommen. Wir sind stolz darauf, dass Halle mit uns und durch uns gewachsen ist.
Wir sind relevant.
Was wir tun, ist von Bedeutung.
Wir sind Halles Geschichte.
Wir sind Kulturerbe.
Wir sind Tradition.
Wir sind relevant.“